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Im Salzbergwerk

Falter, Wien, Nr. 1/1985

Die Legenden, derer sich die österreichische Zeitgeschichtssehreibung bedient, wenn sie von der Rettung der im Salzbergwerk Altaussee eingelagerten Kunstschätze aus ganz Europa berichtet, die kurz vor Kriegsende durch Sprengung hätten zerstört werden sollen, werden bereits dann erschüttert, wenn man einmal die ursprünglichen Quellen genauer liest, auf die sich alle berufen. Einer schreibt vom anderen ab, mit Tabus der ersten Nachkriegszeit wird auch nach vierzig Jahren nur sehr zaghaft umgegangen. Einer gründlichen - nichts verfälschenden - "Geschichte des Widerstandes" stehen offenbar weiterhin diese und jene Interessen entgegen.

 

 

In seinen fragmentarischen Bemerkungen über den Sammler weist Walter Benjamin1 auf dessen "Kampf gegen die Zerstreuung" hin; (vermeintlich) Zusammengehöriges wird gehortet, ein Totalitätsanspruch wird spürbar. An den für das Mittelalter signifikanten Verhaltensweisen fällt ihm in diesem Zusammenhang auf, daß die Menschen damals "tatsächlich gewöhnt waren, selbst über das Geringste ihrer Besitztümer eigens und umständlich durch Testament zu verfügen"2 und für die Renaissancezeit notiert er sich Giorgio Vasaris Behauptung, daß der Begriff "Groteske" von den Grotten komme, in denen Sammler ihre Schätze aufbewahren. Georges Bataille wiederum, unter dessen Mithilfe die Texte zu Benjamins "Passagen-Werk", aus denen hier zitiert wurde, in der Pariser Bibliotheque Nationale versteckt und gerettet worden sind, hat schon 1933 herausgearbeitet, daß eine Gesellschaft genauso wie ein Individuum "ein Interesse an erheblichen Verlusten und Katastrophen haben könnte, die bestimmten Bedürfnissen gemäß, leidenschaftliche Depressionen, Angstkrisen und letztlich einen gewissen orgiastischen Zustand hervorrufen".3

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Ein Sammeln, Verstecken, Vererben und Zerstören von Kunstschätzen bekam gerade im Inferno des letzten Weltkrieges, in dem der Wert menschlichen Lebens für die eigene Seite zwar theatralisch idealisiert, insgesamt jedoch eliminiert worden ist, eine vorher unbekannte Dimension. So waren seit 1943 in den Stollen der Salzbergwerke im Gebiet von Altaussee, Kunstwerke aus ganz Europa eingelagert worden, um sie der Gefährdung durch Bombenangriffe zu entziehen. Auch Hitlers persönliche Sammlung befand sich darunter, bis zuletzt war sie für ihn ein wichtiges Objekt weiterer Planungen. Noch am 29. April 1945, einen Tag vor seinem Tod, bestimmte er in seinem privaten Testament: "Ich habe meine Gemälde in den von mir im Laufe der Jahre angekauften Sammlungen niemals für private Zwecke, sondern stets nur für den Ausbau einer Galerie in meiner Heimatstadt Linz a. d. Donau gesammelt. Daß dieses Vermächtnis vollzogen wird, wäre mein herzlichster Wunsch".4 Dieser, im Bunkersystem unter der Berliner Reichskanzlei verfaßte letzte Wille steht in makabrem Gegensatz zum "Nero-Befehl" vom 19. März und nachfolgenden Vernichtungsanordnungen, nach denen alles, was dem Feind nutzbar sein könnte, zu zerstören sei. Während des ganzen Krieges hat er sich intensiv mit der Zusammenstellung dieser Sammlung beschäftigt. "Noch in den Jahren 1943/44", so Joachim C. Fest, "wurden dreitausend Gemälde für Linz erworben und, ungeachtet aller finanziellen Kriegsbelastungen, einhundertfünfzig Millionen Reichsmark dafür aufgewendet. Als die Münchner Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten, ließ Hitler das gesammelte Gut in Schlössern wie Hohenschwangau oder Neuschwanstein, in Klöstern und Berghöhlen aufbewahren. Allein im Depot Altaussee, einem Salzbergwerk aus dem 14. Jahrhundert, wurden bei Kriegsende 6755 Gemälde Alter Meister geborgen, ferner Zeichnungen, Grafiken, Gobelins, Skulpturen und zahllose Kunstmöbel: letzter Ausdruck einer ins Unüberschaubare gewachsenen, infantilen Aneignungsgier. Unter den Gemälden befanden sich Werke Leonardo da Vincis und Michelangelos Brügger Madonna, berühmte Arbeiten von Rubens, Rembrandt, Vermeer, der Genter Altar der Gebrüder van Eyck und daneben beispielsweise Hans Makarts "Die Pest in Florenz", das Hitler auf dringende Bitten hin von Mussolini zum Geschenk erhalten hatte. Der aus dem Bunker des Führerhauptquartiers erteilte und vom Gauleiter Oberdonau, August Eigruber, unter Exekutionsdrohung weitergeleitete Befehl zur Sprengung des Depots war nicht befolgt worden".

Darüber, warum dieser Befehl nicht mehr befolgt wurde, heißt es in österreichischen Darstellungen regelmäßig: "Rettung von im Altausseer Salzbergwerk verlagerten Kunstschätzen durch österreichische Widerstandskämpfer".6 Im derzeit verwendeten Schulbuch "Zeitgeschichte" wird das etwas präzisiert: "Die ‚Partisanengruppe Salzkammergut' (um den KZ-Flüchtling Plieseis) umfaßte gegen Kriegsende rund 500 Personen. Diese Organisation verhinderte die Vernichtung wertvollster Kunstgegenstände, die ( ... ) durch die NS-Machthaber in die Luft gesprengt werden sollten".7

In Hugo Portischs aufwendiger TV-Sendung "Österreich II" 8 wiederum ist von einem darüber hinausgehenden Kreis an Beteiligten die Rede. Dort wird der Bergarbeiter Alois Raudaschl als der "Macher von der ganzen Geschichte" bezeichnet. Er hatte Zugang zum Gestapo-Chef Ernst Kaltenbrunner, der sich damals in der Gegend aufgehalten hat, und den habe er eben ersucht, "daß er das nicht zulassen, daß er das verhindern möchte, weil unsere Existenz dann beim Teufel ist". Die Kunstwerke waren demnach eine Sache, die Arbeitsplätze im Bergwerk eine zweite, mindestens ebenso wichtige. Kaltenbrunner und der Gauleiter Eigruber (die beide später als Kriegsverbrecher hingerichtet worden sind) hätten per Telefon "furchtbar gestritten", weil dieser auf der Sprengung bestand, aber "dann hat der Kaltenbrunner, der Gestapochef, dem Raudaschl den Befehl gegeben, sofort die Bomben rausliefern zu lassen vom Berg". Und im Filmtext heißt es dann, "schließlich helfen alle zusammen, auch die Salinenleitung und zwei Widerstandsgruppen, geführt von Gaiswinkler und Plieseis. Aber es sind die Bergleute, die die Bomben nun herausholen".

In älteren Darstellungen ist hauptsächlich von drei Schlüsselpersonen die Rede, vom Kunsthistoriker Hermann Michel, von Sepp Plieseis und von Albrecht Gaiswinkler, also immer von jenen, die bereits kurz nach dem Krieg eigene schriftliche Darstellungen ihrer führenden Rolle bei den Widerstandsaktionen geliefert hatten.9

Otto Molden spart in seiner umfangreichen Arbeit über den Österreichischen Freiheitskampf 1938-194510 die Ereignisse im Ausseer Land sogar gänzlich aus, indem er auf die Existenz der "ausführlichen Publikation" Albrecht Gaiswinklers verweist. In einer neueren Aufarbeitung der Ereignisse um die Bergung der Kunstschätze11 kommt keiner dieser drei Namen vor, es wird von einem gemeinsamen Vorgehen der "Vertreter der Saline", des "aktiven Widerstandes" und der "Betreuer, Bergungsleiter und Restauratoren" gesprochen, die Bomben selbst seien letztlich auf Anweisung von Bergrat Otto Högler entfernt worden. Nur im Personenregister ist erwähnt, daß Gaiswinkler und Plieseis in der Widerstandsbewegung zusammengearbeitet haben, der es unter anderem um die Rettung der Kunstschätze gegangen ist.

Der Tenor der Geschichtsschreibung hat sich demnach in diesem Fall von der Herausstellung von Einzelpersonen und Leitern von Widerstandsgruppen hin zu einer Betonung der Gemeinsamkeit bei Widerstandsleistungen entwickelt; Namen treten in den Hintergrund oder werden eliminiert.

So wird Hermann Michel, nach dem Krieg immerhin Direktor des Naturhistorischen Museums, nirgends mehr erwähnt, obwohl er nach seinen eigenen Darstellungen eine Hauptfunktion innehatte und den Bergbau und seine Depots selbst den Amerikanern übergeben hat. 12

Seine NS-Karriere, die ihn bis in die Kommission zur Verlagerung der Kunstschätze geführt hat, rechtfertigte er damit, einer jener Angehörigen des Widerstandes der ersten Stunde gewesen zu sein, die bereits seit 1938 der Parole folgten, nach der sie "als wahre ‚Wächter'" versuchen sollten, unter allen Umständen auf ihren Dienstposten zu verbleiben und daß sie sich hiezu aller Mittel bedienen dürften".13 Von der Bergung schreibt er, daß die Aktionen von der Gruppe Gaiswinkler, der von den Engländern mit dem Fallschirm abgesetzt worden war, geleitet wurden ("zu der auch ich als bewaffnetes Mitglied gehörte"). Die Widerständler im Salzbergwerk selbst seien Mitglieder der von Sepp Plieseis geführten Gruppe "Fred" gewesen, von der bei Gaiswinkler allerdings nur ganz am Rande die Rede ist. Plieseis aber erwähnt in seinem Buch Gaiswinkler nur einmal, als Führer der "besten Gruppe". die er selbst "in monatelanger Arbeit gesammelt, geschult und ausgebildet hatte". Von dieser Feststellung distanziert er sich jedoch später: "Wir Freiheitskämpfer hatten zu dieser Zeit nicht die kleinste Verbindung mit Fallschirmspringern, ja, die hatten keine Ahnung, daß im Stollen Kunstschätze lagen. Die waren erst wenige Tage vorher abgesprungen und suchten Unterschlupf für sich." 14

Die Berichte der drei, ursprünglich als Hauptverantwortliche aufgetretenen Akteure widersprechen sich demnach diametral und man braucht nur die Bücher von Plieseis und Gaiswinkler zu lesen, um auf eine Fülle weiterer Ungereimtheiten zu stoßen.

Das Buch von Plieseis erschien bereits 1946; merkwürdig ist, daß der Herausgeber der Neuauflage von 1971, Julius Mader, im Vorwort behauptet, daß sich das Buchmanuskript im Nachlaß des Autors gefunden habe und nun veröffentlicht würde, ohne daß ein Wort über die Erstausgabe verloren wird. 15

Sepp Plieseis (1913-1966) war Sozialist, später Kommunist, kämpfte in den Internationalen Brigaden in Spanien, kam dann in französische Lager, in Gestapohaft, nach Dachau und schließlich ins Lager Hallein, von wo er im August 1943 fliehen konnte. Er wurde zum Kopf der Widerstandsgruppe "Willy" (später "Fred"), einer Auffangorganisation für Flüchtlinge, Deserteure und Verfolgte und gibt an, bereits 1944 die Weisung zur Rettung der Kunstschätze gegeben zu haben, ohne dabei allerdings dann selbst in Erscheinung zu treten. Aktiv wäre die von ihm aufgebaute Widerstandsgruppe "Salzberg" mit ihren achzig Bergleuten unter der Leitung von Markus Preßl und von Bergmeister Danner geworden. Hermann Michel hätte, wie einige andere auch "gegen Ende der faschistischen Herrschaft ebenfalls die Freiheitsbewegung mit Informationen versorgt", der von anderen Zeugen als Hauptakteur bezeichnete Bergarbeiter Alois Raudaschl kommt nur anonym, als "zuverlässige Mittelsperson" zu Kaltenbrunner vor. Nachdem die Bomben aus dem Stollen entfernt und ihr Rücktransport verweigert worden war, hätte die "Oberste Bergbehörde" zur Vermeidung weiteren Schadens angeordnet, die Eingänge zuzusprengen. Für Plieseis "eigentlich eine ganz überflüssige Direktive, denn die Freiheitskämpfer der Gruppe ‚Salzberg' sorgten jetzt von sich aus schon dafür, daß jede weitere Gefährdung unterblieb". Zusammenfassend heißt es dann: "So ist schließlich die Erhaltung aller Schätze einzig und allein das Werk der österreichischen Freiheitskämpfer der Gruppe ‚Salzberg' gewesen".

Albrecht Gaiswinkler schildert in seinem 1947 erschienenen Buch16, wie er, der Sohn eines Salinenarbeiters aus Bad Aussee, Sozialdemokrat, revolutionärer Sozialist und vorübergehend Kommunist, 1940 mit Valentin Tarra, Johann Moser und Hans Renner eine Widerstandsgruppe gründete, als Soldat in Frankreich zur Resistance überlief, in England zum Fallschirmspringer ausgebildet und am 9. April 1945 mit drei anderen über dem Höllengebirge abgesetzt worden ist. Seine Widerstandsgruppe "Georg" soll rasch auf fast 300 Mann angewachsen sein. Ihre Aktionen klingen vielfach grotesk und unglaubwürdig: Wichtige Gestapo-Leute werden so eingeschüchtert, daß sie jede Menge falscher Papiere liefern, mit falschen Offiziersuniformen verschafft man sich überall Zutritt, eine eigene österreichische Regierung mit hohen SS-Leuten wird installiert, um sie in Hoffnungen zu wiegen, Unmengen von Gold und Geld werden sichergestellt und den Amerikanern übergeben, ein General wird auf offener Straße verhaftet, eine Panzerabteilung und eine ganze Kompanie werden entwaffnet usw. (und nichts davon wird vom im selben Gebiet operierenden Plieseis erwähnt). In seiner Schilderung von der Rettung der Kunstschätze ist von einer "Deputation aus Bergleuten und Bürgern von Altaussee" die Rede, die bei Kaltenbrunner die Rücknahme des Sprengbefehls verlangte oder davon, daß die Freiheitskämpfer selbst (und nicht, wie laut Plieseis, Beauftragte der "Obersten Bergbehörde") schließlich als Schutzmaßnahme die Zugänge sprengten. Oft deckt sich der später herausgegebene Bericht Gaiswinklers plagiathaft bis in nebensächliche Details und Formulierungen mit dem von Plieseis, so etwa an der Stelle über den Tod des Widerstandskämpfers Karl Feldhammer.17

Bei der Brüchigkeit derartiger historischer Quellen ist es umso signifikanter, daß weiterhin eine umfassende Stellungnahme, wie jene des damaligen Generaldirektors der Salinen, Emmerich Pöchmüller (1902-1963)18, gleichsam mit einem Tabu belegt ist, so als ob Forschungen zur Zeitgeschichte auf die Darstellungen von NS-Parteigängern verzichten könnten. Im sonstigen politischen Alltag sind derartige Berührungsängste jedenfalls immer nur kurzfristig aufgetreten; und zu den Methoden einer sorgfältigen Geschichtswissenschaft dürfte es im allgemeinen gehören, alle wichtigen Quellen (besonders auch die gegnerischen) einzubeziehen.

Pöchmüllers 1948 erschienenem Buch zufolge, wurden ab dem Sommer 1943 die "Führersammlung", beschlagnahmter Besitz aus den besetzten Gebieten, Bestände des Wiener Kunsthistorischen Museums, der Albertina, der Nationalbibliothek, das Museums für angewandte Kunst, des Naturhistorischen Museums, des Museums für Völkerkunde, anderer Museen und solcher aus Klöstern und Kirchen eingelagert. Ab dem 10. April 1945 waren auf direkten Befehl von Gauleiter Eigruber Kisten mit Bomben in die Stollen gebracht worden (Aufschrift: "Vorsicht Marmor, nicht stürzen"), damit bei einer Feindannäherung die Zugänge verschüttet werden konnten. Da die Sowjettruppen jedoch inzwischen dabei waren, Wien einzunehmen, wollte dieser schließlich das gesamte Bergwerk sprengen lassen. Pöchmüller habe davon, so berichtet er, am 13. April erfahren und unmittelbar darauf einen engeren Kreis von Mitarbeitern (darunter Otto Högler, Carl Sieber, Max Eder, Hermann Michel, die auch in anderen Quellen als Mitwisser genannt werden) davon informiert. Es sei rasch eine Übereinstimmung erzielt worden, daß der Plan Eigrubers verhindert werden müsse. Mit technischen Einwänden wurden Terminverschiebungen erreicht, am 22. April langte ein urgierter, von Bomann gezeichneter Funkspruch Hitlers ein, daß nicht eine Vernichtung, sondern gegebenenfalls eine Verschüttung der Bergungsorte durchzuführen sei. Am 28. April habe Pöchmüller dann schriftlich die Entfernung der Bombenkisten angeordnet, obwohl hohe Parteifunktionäre unter Exekutionsdrohungen auf einer Sprengung bestanden. Sie sollte unter Gestapo-Schutz von einem Sonderkommando durchgeführt werden. Schließlich konnte noch der Kommandant der Wachmannschaften, Feldwebel Filip, für die Verhinderungsaktion gewonnen werden. Über Vermittlung von Alois Raudaschl kam es dann zum schon erwähnten Treffen mit Kaltenbrunner, bei dem der Betriebsleiter Otto Högler (von dessen Anwesenheit und Schlüsselrolle in anderen Quellen nichts berichtet wird) eine absichernde Rückendeckung erreichte. Das war am Abend des 3. Mai und bereits in derselben Nacht wurden auf Höglers konkrete Anweisung hin und unter Aufsicht des Bergmeisters Alfred Jud die Bomben aus dem Berg geschafft. In einer Arbeiterversammlung am selben Tag hatten sich alle für eine Sabotage des Zerstörungsbefehls ausgesprochen und Freiwillige zur kritischen Nachtschicht gemeldet. 19 Bei Plieseis (S. 291) heißt es demgegenüber: "Die Freiheitskämpfer stürzten sich schon Minuten später zwischen die SS-Wachen und transportierten die mörderischen Kisten in einen nahen Wald". Am 5. Mai schließlich (zwei Tage vor der Gesamtkapitulation in Reims, die am 9. Mai in Kraft trat) wurden noch die Eingänge zugesprengt, am 17. Mai waren die Freilegungsarbeiten unter amerikanischer Kontrolle so weit, daß die Stollen mit den unversehrten Kunstsammlungen wieder betreten werden konnten. Captain R. Posey, ein amerikanischer Kunstexperte, Oberbergrat Mayerhoffer und der bald darauf als NS-Funktionär inhaftierte Generaldirektor Pöchmüller waren die ersten, die wieder in die Gänge vordrangen.

Nach Pöchmüllers Darstellung war die Rettung der Kunstschätze und des Salzbergbaus eine hektische Abfolge risikoreicher Widerstandsleistungen der Betriebsangehörigen, also von in die Befehlsstrukturen integrierten Leuten, unter seiner Gesamtleitung.

Von Plieseis (und Gaiswinkler) wird sie als alleiniger Erfolg organisierter Widerstandsgruppen bezeichnet. Zu simpel wäre es, auf eine Wahrheit, die irgendwo "in der Mitte" liegt, hinzuarbeiten, wie das neuerdings durch die Betonung deren "gemeinsamen" Widerstandes versucht wird. Werden die ursprünglichen Quellen kritisch einander gegenübergestellt, so wird plausibel, daß sich die Bergarbeiter auf Initiative und mit voller Unterstützung ihrer Vorgesetzten (insbesonders Generaldirektor Emmerich Pöchmüller, Betriebsleiter Otto Högler und Bergmeister Alfred Jud) praktisch geschlossen einer Zerstörung widersetzt haben und so vom Betrieb selbst der entscheidende Beitrag geleistet worden ist, ohne daß dies nachher eine öffentliche Anerkennung gefunden hätte.

Ein "organisierter" Widerstand paßte besser ins Bild, selbst wenn es zu ihm nur lose Kontakte gab und sich später viele Opportunisten seiner bedienten; einmal installierte Sprachregelungen behielten ihre Kraft. Am meisten hat Albrecht Gaiswinkler profitiert, der Krankenkassenbeamter und von 1945-1949 SPÖ-Nationalratsabgeordneter wurde. Sepp Plieseis war später als Beamter der Stadt Ischl und als KP-Funktionär tätig. Emmerich Pöchmüller bemühte sich jahrelang um eine Klarstellung der Ereignisse (1951 bestätigte ihm ein Gericht nicht etwa den üblichen "Befehlsnotstand", sondern daß er sowieso der "normalen Rettungspflicht" hätte nachkommen müssen) und ging schließlich in die Bundesrepublik.

Vom "größten Museum aller Zeiten", dessen Wert damals auf dreieinhalb Milliarden Dollar geschätzt worden war, ist offenbar alles gerettet worden.20 Die Aufbewahrungsbedingungen waren im Bergwerk besser als in den meisten Museen: "einwandfreie Frischluft durch ausgezeichnete natürliche Bewetterung, eine Sommer und Winter stets gleichbleibende Temperatur von 70 C und eine relative Luftfeuchtigkeit von 74 bis 79%". Für Forschungen zur Zeitgeschichte gelten manchmal auch sehr lange derartige, einer Konservierung dienliche Zustände.

 

 
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  1. Walter Benjamin: Das Passagen-Werk, Suhrkamp, 1982. S. 269f
  2. zit. nach: Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters, Kröner Verlag. 1975 (1924/ 41), S.338
  3. Georges Bataille: Die Aufhebung der Okonomie, Rogner & Bernhard, 1975 (1933 ff.). S. 10
  4. zit. nach: Joachim C. Fest: Hitler. Eine Biographie. Ullstein. 1976. S. 1018
  5. Joachim C. Fest, a. a. O. S. 726f.
  6. z. B. bei Erika Weinzierl: Österreich. Zeitgeschichte in Bildern, 1918-1968, Tyrolia-Verlag, 1968; Bildunterschrift unter einem oft publizierten Foto mit geöffneten Bombenkisten
  7. Walter Göhringer u. Herbert Hasenmayer (unter wiss. Beratung von Ludwig Jedlicka): Zeitgeschte, Hirt-Verlag, 1979, S. 96
  8. ORF-Nachlese, Wien, Nr.2/1983
  9. Sepp Plieseis: Vom Ebro zum Dachstein. Lebenskampf eines österreichischen Arbeiters. Verlag Neue Zeit, Linz, 1946
    Bericht Hermann Michel in: Hans Becker: Österreichs Freiheitskampf, Verlag der Freien Union der ÖVP, Wien, 1946, S. 29 f.
    Albrecht Gaiswinkler. Sprung in die Freiheit, Ried-Verlag, Wien-Salzburg, 1947
  10. Otto Melden: Der Ruf des Gewissens. Der österreichische Freiheitskampf 1938-1945, Herold, Wien, 1958, S.19
  11. Harry Slapnicka: Oberösterreich als es "Oberdonau" hieß (1938 -1945). OÖ Landesverlag, Linz 1978, S. 90f.
  12. Bericht Hermann Michel in: Hans Becker. 1946, a. a. 0.. S. 30
  13. Hermann Michel: Bergungsmaßnahmen und Widerstandsbewegung. Annalen des Naturhistorischen Museums, Wien, Bd.56, 1948
  14. Plieseis 1946/71, a. a. 0., S. 303 und sein Leserbrief an den "Neuen Mahnruf", Wien, vom 27.10.1960
  15. Plieseis, 1946 (s. Anm. 9) ist ident mit: Sepp Plieseis: Partisan der Berge. Lebenskampf eines österreichischen Arbeiters. Globus Verlag, Wien, 1971. Zit. S. 285, 290, 292
  16. Albrecht Gaiswinkler, 1947, a. a, O. ...O., Zit. S.273
  17. Plieseis, 1946/71, S.270: "Sie eilte die Treppe hinab und fragte, wer so früh ins Haus wolle. ‚Aufmachen! Polizei! Schnell, sonst schlagen wir die Tür ein.' Sie erschrak zu Tode. ‚Wartet doch noch so lange, bis ich mir etwas übergeworfen habe. Ich kann euch doch nicht im Hemd reinlasse."
    Gaiswinkler, 1947. S. 163: "Sie huschte die Treppe hinab und fragte, wer da sei. Aufmachen! Sofort öffnen oder wir schlagen die Tür ein! Hier Polizei! ... schrie eine rauhe Stimme ... ‚Ja doch, gleich. Wartet's doch einen Augenblick, bis ich mir was übergezogen habe!' erwiderte sie. ‚Im Hemd kann ich euch doch nit hereinlassen.'"
  18. Emmerich Pöchmüller: Weltkunstschätze in Gefahr. Pallas-Verlag, Salzburg 1948
  19. In verschiedenen, unmittelbar nach dem Krieg aufgenommenen Zeugenerklärungen direkt Beteiligter, die dem Autor vorliegen, wird die Darstellung Pöchmüllers bestätigt; als an der Bergung der Bomben direkt beteiligte Arbeiter werden genannt:
    Johann Angerer, Franz Danner I und Il. Johann Gaisberger, Leopold Gaisberger, Karl Gotschmann. Max Peer, Johann Pucher, Franz Temel, Eusebius Wimmer, Heinrich Wimmer, Franz Zwickl und für den Abtransport: Leo Angerer, Matthias Brandauer, Johann Egger, Franz Grießhofer, Hermann Haim, Johann Peer, Johann und Eusebius Wimmer
    Zum 40. Jahrestag der Ereignisse soll nun im Mai 1985 eine Gedenktafel, allerdings wieder ohne Namensnennung, angebracht werden, auf der "die Leiter der Saline und Bergleute" für ihre Widerstandsleistung geehrt werden (Salz aktuell, Bad Ischl 3/84)
  20. Ob in Österreich aufgetauchte Kunstwerke aus jüdischem Eigentum wirklich alle an rechtmäßige Besitzer zurückgelangten, wurde kürzlich von amerikanischer Seite im"ARTnews"-Magazin (Dez.84) in Zweifel gezogen; "Die Presse" (vom 6. 12. 84) konterte auffallend empört: "man wird es mit Fassung tragen" ... "angesichts so törichter Verdächtigungen".
    Plötzlich war dann doch von einem "der seit fünfzehn Jahren bestgehüteten Vermögensgeheimnisse der Republik" ("Die Presse". 14.12. 84) die Rede. Etwa 4000 Objekte werden noch verwahrt, in einem Depot des ehemaligen Kartäuserklosters Mauerbach, aber auch in verschiedenen Bundesmuseen und österreichischen Botschaften. Minister Fischer kündigte an, sie Ende 1985 öffentlich auszustellen und dann - voraussichtlich zugunsten von NS-Opfern - zu versteigern. Gegenüber neu auftauchenden Eigentumsansprüchen werde man "großzügig sein".

 

 
 
© Christian Reder 1985/2001